Langsam kommt das Wiedererkennen. Der große Findling dort am Waldrand, der kleine Bach am Weg entlang, der Weg ist etwas breiter nun. Deutlich sind Fahrspuren und Hufabdrücke erkennbar. Die Burg wird nach wie vor gut besucht. Hinter dem Wald sieht man schon den Weinberg. Wenn man genau hinsieht erkennt man bunte sich bewegende Flecke. Es ist April, genau die Zeit in der die Weinruten gebunden werden und der Boden gelockert wird.
Der schwarze Friesenhengst trägt seine Reiterin im lockeren Trab weiter auf dem über die Jahre ausgetretenen Weg. Eine leichte Steigung hinauf und dann in den Finsterwald. Der Wald hat im Grunde keinen Namen, aber irgendjemand vor langer Zeit hat ihn mal so genannt als das Gerücht umging ein Untier würde dort sein Unwesen treiben. Der Name hat sich festgesetzt in den Köpfen der Burgbewohner und seitdem wird er Finsterwald genannt. Die Reiterin atmet tief den Duft des alten Holzes ein und schließt genießend die Augen. Fast scheint es so als würde das Pferd es seiner Herrin gleich tun und der Hengst wechselt in ein gemächliches Schritttempo. Beide schauen sich um, nicht vorsichtig oder ängstlich, sondern neugierig und voller Freude. Lächelnd tätschelt die Frau dem Tier den massigen Hals und beugt sich dabei etwas nach vorne. „Wir sind zu Hause Lui.“ Tatsächlich ist es so, dass mit dem Beginn des Waldes die südliche Grenze der Ländereien verläuft die zur Burg Keltenstein gehören. Weiter vorn den Weg entlang hackt offenbar jemand Holz. Stimmengemurmel, Kettengeklimper und eine schlagende Axt. Die Reiterin schnalzt nur kurz mit der Zunge und der Hengst stemmt die Hinterbeine in den Boden, macht einen Satz und galoppiert aus dem Stand heraus den Geräuschen entgegen. Seine schweren Hufe donnern über den trockenen Waldweg sodass die Waldarbeiter schon vorgewarnt sind dass sich jemand nähert.
Die Reiterin erkennt schon von weitem zwei kräftige Männer, beide in groben Arbeitshosen und schweren Stiefeln. Einer im Lederschurz, der andere obenrum nur in Schweiß und Muskeln gekleidet. „He da, schöne Frau, wo soll’s hingehen?“ ruft der Halbnackte und verstellt den Reisenden den Weg. Der große Hengst hält in einigen Metern Abstand und bläht die Nüstern, wirft aufgeregt den Kopf hoch, stampft mit dem Huf und scharrt, gerade so als würde es ihm nicht gefallen den Weg verstellt zu bekommen. „Ganz ruhig Lui, alles gut.“ flüstert die Reiterin und tätschelt den Rappen. „Nach Keltenstein. Wenn’s recht ist.“ spricht die Frau laut und grinst. Die Männer zucken beim Klang der Frauenstimme und kommen einige Schritte näher mit ungläubigen Gesichtern. Die Reiterin lacht leise als sie die beiden in einer hitzigen Diskussion beobachten kann. Sie versteht kein Wort kann sich aber gut vorstellen worum es bei den beiden geht. Ein ganz leichter Ruck an den Zügeln und der Hengst trägt seine amüsierte Reiterin einige Schritte weiter auf die beiden Waldarbeiter zu. Über das Diskutieren und Streiten haben die beiden die Frau fast vergessen und erschrecken nicht schlecht als Reiterin und Tier plötzlich näher bei ihnen sind. Sofort verstummen beide, der ältere, der mit dem Schurz, verbeugt sich tief während der andere mit weit offenem Mund staunt und offensichtlich an seiner geistigen Gesundheit zweifelt. Grinsend und zum Gruße nickend reitet die Frau ganz behäbig an den beiden vorbei und lacht laut als der Hengst dem gaffenden Halbnackten einen ordentlich Schlag mit seinem langen Schweif gibt. Ohne einen Blick zurück aber sehr wohl das aufgeregte Tuscheln der beiden Männer im Ohr setzt die Frau ihren Weg durch den Wald fort. Nach einiger Zeit erreichen die beiden den Waldrand, der Hengst bleibt wie angewurzelt stehen und bläht aufgeregt die Nüstern. Er wirft den Kopf in den Nacken und wiehert so laut und gellend, dass die Reiterin sich tunlichst die Ohren zuhält und ihr Lachen total untergeht in dem Gewieher. Der Rappe senkt seinen Kopf wieder, hält jedoch die Nase in die Luft und spitzt die Ohren. Und wie erwartet erklingt aus der Ferne die Antwort. Es sind mehrere Pferde die ihre Stimmen erheben um den Hengst zu begrüßen. Ohne Zutun der Reiterin zieht der Hengst an und galoppiert blindlings drauflos. Die Reiterin hat Mühe sich zu halten vor Lachen und genießt die pure Lebensfreude unter ihr die immer so ansteckend ist.
Mit wehenden Haaren fliegen die beiden über den ausgetretenen Weg und die Burg wächst immer größer vor beider Augen. Auf den Zinnen flattern die Fahnen in dunklem Blaugrün und Grau. Seit jeher die Farben der Andrastes. Östlich der Burg erstrecken sich kilometerweite Koppeln und Weiden. Westlich der Burg erkennt man vereinzelte Gehöfte, Acker, Wiesen und Felder. Offenbar alles gut bestellt um Keltenstein, es grünt und blüht und wächst und gedeiht. Die südlichste Koppel liegt noch ein bis zwei Kilometer entfernt, doch dort sammeln sich schon die Pferde und warten sehnlichst auf ihren Kumpanen der die Frau so schnell er kann ihnen entgegen trägt. Aber wer denkt der Hengst würde anhalten um seine Freunde zu begrüßen der irrt, ohne Abzubremsen fliegt er an ihnen vorbei, die sich sofort auf das Wettrennen einlassen. Das ausgelassene Lachen der Reiterin geht vollends im Stampfen der Hufe und Rasseln der Pferdenasen unter. Mit schaumenden Mäulern und schwitzenden Flanken drosseln die Tiere schließlich ihr Tempo als es auf das Ende der Koppel zu geht. Nur der Rappe rennt unbeirrt weiter und wiehert kurz, gerade so als würde er seine Freunde verspotten ob sie sich nicht trauen über den Zaun zu springen.
Weiter vorne am Wegesrand spaziert ein Päärchen, elegant gekleidet und hat die Reiterin und ihr närrisches Pferd natürlich längst gehört. Während die Dame ihren Hut festhält, damit das vorbeisausende Gespann ihn nicht entreißt, schimpft der Mann lautstark und legt der Dame ganz gentlemenlike schützend den Arm um die Schultern. Die Reiterin grinst nur entschuldigend und ist sich sicher die beiden vorher noch nie gesehen zu haben. „Jetzt aber Lui, beruhige Dich.“ Tadelt die Reiterin den Hengst der daraufhin einhält und deutlich langsamer wird. „Wo nimmst Du nur diese Kraft her, beneidenswert.“ In Hinblick auf die lange Reise die die beiden hinter sich haben, ist es tatsächlich erstaunlich welche Kraftreserven das Pferd immer wieder zu Tage fördert. Vor den beiden positionieren sich die beiden diensthabenden Wachmänner der Burg. Einer links, einer rechts vom offenen Burgtor. Mit gekreuzten Lanzen verwehren die beiden den Zutritt. Wieder führt der Rappe sein Spielchen auf, es ist ihm zuwider sich den Weg versperren zu lassen. Beschwichtigend tätschelt die Reiterin den massigen Hals und lenkt das Tier weiter im Schritt auf die Wachen zu. Die beiden sind sehr jung und machen keine Anstalten die Reisenden einzulassen. „Was ist euer Begehr?“ tönt der Rechte mit dunkler Stimme und etwas blasiert. Der Linke beschaut sich die Frau skeptisch und man kann förmlich das große Fragezeichen über seinem Kopf schweben sehen. Die offenbar Fremde räuspert sich nur kurz und spricht mit freundlicher Stimme. „Hab ich mich wirklich so stark verändert?“ Die beiden jungen Wachen werfen sich einen ungläubigen Blick zu und kommen stillschweigend überein dass es wohl besser ist sofort und auf der Stelle den Weg freizugeben. Mit einer tiefen Verbeugung heißen sie die Reiterin willkommen und gewähren Eintritt. „Vielen Dank edle Herren.“ Spricht die Reiterin aufrichtig und dennoch ein wenig amüsiert und lenkt ihren Rappen durch das Burgtor.
Die klappernden Hufe auf dem gepflasterten Burghof verraten die beiden, denn der Burghof ist ansonsten leer. Die Reiterin sieht sich um und stellt zufrieden fest, dass sich nicht viel verändert hat. Zielstrebig steuert der Rappe auf die Stallungen zu, diesen Weg ist er ja bereits unzählige Male gelaufen. Die neugierigen Blicke bleiben entweder aus oder die Augenpaare sind gut versteckt. Auf jeden Fall ist niemand zu erkennen. Bis ein bärtiger großer Mann Anfang fünfzig aus den Stallungen tritt um nach seiner Kundschaft zu sehen. Der Mann erstarrt erst und wischt sich nach einigen Augenblicken die Augen. „Beim Lug, ist es denn die Möglichkeit?“ laut rufend steuert er schnellen Schrittes auf Reiterin und Pferd zu. Sofort drückt sich die riesige Pferdeschnauze vertrauensvoll in die hohle Hand des Mannes der die andere Hand zur Hilfe der Reiterin entgegenstreckt. Als sich diese aus dem Sattel schwingt und auf dem Boden aufkommt staubt es gewaltig, sodass beide am Husten sind, Reiterin und Stallknecht. Etwas verdattert aber breit grinsend stehen die beiden sich gegenüber. Der Stallknecht weiß offensichtlich nicht recht wie er sich jetzt verhalten soll, so kommt ihm die Reiterin zu Hilfe und nimmt ihn beherzt in die Arme. Die beiden drücken sich fest und liegen sich einen Moment schweigend aber froh in den Armen. Die Hand des Stallknechts ruht nicht lange und wandert kaum merklich über den Rücken in Richtung des Hinterns der Reiterin. „Klaus mein Guter, treib’s nicht zu weit.“ Schimpft die Reiterin lachend. „Ich muss doch sicher gehen dass Ihr es seit.“ Feixend lässt der große Mann von der kleineren Frau ab und hält sie auf Armeslänge von sich entfernt. „MyLady Gwendolyn, dass meine alten trüben Augen euch noch mal schauen dürfen!“ Grinsend nimmt die Lady dem Knecht die Zügel, die er eben in die Hand genommen hat, wieder ab und führt den großen Rappen in den Stall. „Nichts hat sich verändert, gar nichts.“ Kopfschüttelnd folgt der Knecht den beiden und drängt sich dann vor um den beiden eine frisch gemachte Box zuzuteilen. „Ich nehme an, ich darf Lui auch nicht für euch abreiben?“ Das Kopfschütteln der Lady quittiert Klaus seufzend und macht sich auf den Weg frisches Wasser für den Rappen zu holen.
Gwendolyn spricht leise flüsternd mit ihrem Pferd während sie es mit einem Büschel Stroh abreibt. Der Hengst hat sich ein Maul voll Heu geschnappt und mahlt zufrieden darauf rum, genießt die Massage und schmeichelt sich hier und da mit dem riesigen Kopf an seine schlanke Herrin. „Diesen Singsang habe ich vermisst.“ Tönt es von der Stallgasse. „Ich dachte ja Klaus hatte wieder einen Tagtraum, aber als die Wachen den gleichen Traum hatten, dachte ich, ich sehe zumindest mal nach.“ Ein drahtiger dunkelhaariger Mann steht an die Boxentür gelehnt und kaut auf einem Strohhalm herum. „Gonscher“ nickt die Frau zum Gruße freundlich lächelnd und reibt unbeirrt den Rappen weiter ab. „Du bist schmal geworden Gwen.“ „Und Du noch immer respektlos.“ Die Frau begutachtet den Hengst und streichelt ihm über die muskulösen Flanken. „So fertig mein Schöner, Klaus wird sich weiter um Dich kümmern.“ „Bin schon da!“ Der drahtige Mann und Gwendolyn springen gerade noch so zur Seite und bekommen dennoch einige Spritzer eiskaltes Brunnenwasser ab, als der Stallknecht mit zwei Eimern bewaffnet in die Pferdebox stolpert. „Gute Güte Klaus!“ schimpft Gonscher und schüttelt sich vor Kälte. „Du wirst es überleben, leider.“ Witzelt Klaus und macht sich daran den Trog für Lui mit dem Wasser aufzufüllen. „Bis morgen Klaus.“ Lacht Gwen und schiebt sich an Pferd und Männern vorbei aus der Box hinaus. „MyLady, willkommen zurück.“ Ehrlich erfreut strahlt Klaus die Frau an, verbeugt sich noch einmal angedeutet und kümmert sich dann liebevoll um den großen kräftigen Hengst der ihn freundlich mit der Schnauze anstupst und nach Leckereien in der Schürze des Stallknechts sucht.
Gonscher folgt Gwendolyn aus dem Stall und packt sie schließlich am Arm um sie anzuhalten. „Nun sprich schon, wo warst Du? Und vor allem, was treibt Dich zurück?“ „Ich wüsste nicht was Dich das angeht, Koch.“ Lächelt Gwen freundlich aber bestimmt, schüttelt ihn ab und geht weiter. „Fünf Jahre verschwinden und dann soll alles weitergehen wie zuvor?“ mault Gonscher und bemüht sich mit ihr Schritt zu halten, die zielstrebig den überschaubaren Burghof überquert und die wenigen Stufen zur großen hölzernen Eingangstür im Laufschritt nimmt. Die Türe steht offen, wie früher schon, um ein wenig Sonnenwärme ins Innere zu lassen. Trotzdem fröstelt Gwen als sie im großen dunklen Vorraum stehen bleibt um die Augen erst mal an die Dunkelheit zu gewöhnen. Ganz dicht steht Gonscher hinter ihr und schnuppert heimlich an ihrem Haar. Amüsiert dreht sie sich um und schaut ihm direkt in die Augen. „Freust Du Dich denn gar nicht dass ich wieder hier bin?“ spricht sie ganz leise mit bewusst verführerischer Stimme. „Nun, wenn Du Dich zurecht gemacht hast und nicht in diesen staubigen Lumpen hier Margas Arbeit zunichtemachst, dann vielleicht.“ Deutlich versöhnlicher lächelt nun auch Gonscher und lädt Gwen mit einer Handbewegung ein ihm zu folgen. Die beiden gehen ein paar Schritte und öffnen eine der schweren Holztüren. Sofort strömt ihnen eine angenehme Wärme und noch verlockender der würzige Geruch von Essen entgegen.
Eine mollige Frau, Ende vierzig, steht am Herd und rührt in zwei Töpfen gleichzeitig. „Und? Hat er sich wieder was zusammengesponnen?“ will sie wissen ohne sich umzudrehen und wischt sich beide Hände an der fleckigen Schürze ab ehe sie sich die Haube über den widerspenstigen und wirren Locken zurecht zupft. Mit Tränen der Freude in den Augen rennt Gwen auf die Köchin zu, wirbelt sie herum und nimmt sie fest in die Arme. „Gütiger Himmel.“ Ruft diese überrascht und verliert vor lauter Wirbeln ihre Haube. Erst nach einigen Minuten lässt die Jüngere die Köchin los um die Haube vom blitzblank geputzten Boden aufzuheben und ihr zu reichen. Diese nimmt die Haube, staunt noch immer mit offenem Mund und zieht die Haube dann kraftvoll über Gwendolyns abwehrende Hände. „Wie konntest Du nur…“ wild um sich schlagend und japsend „… fünf Jahre!“ „Beruhige Dich Marga!“ lachend wehrt Gwen die aufgebrachte Köchin ab und weicht Schritt für Schritt zurück. „Beruhigen soll ich mich? Mädchen ich hab mir solche Sorgen um Dich gemacht!“ Nun musste auch Gonscher lachen und Gwen noch viel mehr. Schließlich stimmt auch Marga ein in das Lachen. Als die drei sich wieder beruhigt haben, setzt Marga frischen Kaffee auf „Schön stark und rabenschwarz wie Dein Haar. So war es immer, so soll es sein.“ Schwadroniert die Köchin und drängelt Gwen auf einen der alten knarzigen Holzstühle. „Erzähl, welche Abenteuer hast Du erlebt, Halunken gejagt, Mörder gerichtet oder gar einen jungen Prinzen befreit?“ offenbar hatte Marga ihre gute Laune wiedergefunden und die beiden Frauen unterhaltenn sich angeregt und lachend, als wäre nie so viel Zeit vergangen, als wäre nichts geschehen. Gonscher hingegen lauscht gespannt, schaut griesgrämig wie immer und rührt in den Töpfen, brät Fleisch an und würzt es mit Gemüse und Kräutern bevor er es im Ofen verschwinden lässt. So vergehen zwei Stunden bis das Essen fast fertig und Gwendolyn müde von dem langen ereignisreichen Tag ist. „Tut mir leid Mädchen, ich bin aber auch ein Schussel. Geh, los geh nach oben. Dein Turmzimmer ist gerichtet.“ „Ich verstehe nicht?“ Gwen stutzt, niemand war informiert dass sie kommen würde und Marga konnte sich zwischenzeitlich nicht darum gekümmert haben, sie saßen hier die ganze Zeit zusammen. „Seit Du weg bist, jeden Tag, lüften, frische Blumen. Jede Woche neue Laken für die Betten. Jeden Monat Deine zurückgelassene Kleidung einmal komplett durchgewaschen.“ Zählt Gonscher auf und verdreht dabei die Augen. Marga hingegen strahlt die Lady aus tränennassen Augen an. „Ich wusste immer Du kommst zurück zu uns.“ Noch bevor sich die Tränen auch in Gwendolyns Augen wieder breit machen können, steht sie auf, umarmt Marga noch einmal herzlich und drückt Gonschers Arm. Der brummelt nur etwas Unverständliches und kümmert sich weiter um das Essen. So verlässt Gwen die warme heimelige Küche und macht sich daran die vielen Treppen zum Turm zu erklimmen.
In den weitläufigen Gängen der Burg ist, wie früher auch schon, niemand zu sehen und zu hören. So kann sie ohne weiter aufgehalten zu werden bis zum Turm hochlaufen und die schwere Holztür aufdrücken. ‚Quietscht gar nicht mehr‘ wundert sie sich und tritt ein. Der höchste runde Turm der Burg besteht aus vier Zimmern. Der erste Weg geht ins Kleinste der Zimmer, gleich am Eingang. Das Zimmer ist beinahe leer. Bis auf zwei Querstangen in die Mauern eingelassen und einigen Haken an der Wand, war hier nichts untergebracht. Der Wind pfeift schneidend durch das glaslose Fenster und Gwen genießt den Ausblick über die Ländereien der Burg. Hier waren einmal die Falken untergebracht. „Was wohl aus Ihnen geworden ist?“ Gwen lehnt an der Mauer und lässt sich den Wind durchs Haar streichen. Das leere Zimmer stimmt sie traurig, aber was hatte sie erwartet? Hatte sie nicht alles zurück gelassen? ‚Hoffentlich hat Lejah Lug bei sich aufgenommen. Es würde mir das Herz zerreißen wäre er verkauft worden.‘ In Gedanken bei Lug, dem jungen Falken den sie damals zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte stößt sich Gwen von der Mauer ab und verlässt eilig das leer stehende Zimmer. Die Trauer um den Falken lässt sich nur ein wenig vertreiben angesichts des großen Schlaf- und Wohnzimmers im Turm. Auf dem Tisch stehen wunderschön arrangierte Blumen. Marga hat sich wieder mal selbst übertroffen. Die Laken auf dem großen aus massivem Holz, mit filigranen Schnitzereien verziertem, Himmelbett duften frisch und strahlen in Weiß. Auch auf den Fensterbänken stehen frische Blumen in schlichten Keramikvasen. Die Teppiche dick und weich in den Farben blaugrün und grau wurden offensichtlich gut gepflegt. Hinter einer aus dunklem Holz gefertigten Tür befindet sich das Arbeitszimmer. Ein großer schwerer Schreibtisch bestimmt den ganzen Raum. Lächelnd stellt Gwen fest, dass sogar die Tinte im Fass aufgefüllt wurde, als wäre sie nie weg gewesen. Die dicken alten Bücher in den Regalen wurden abgestaubt, die Schriftrollen sind ordentlich aufgereiht, sogar das Portrait von ihr und Don hängt noch an der Wand. ‚Beim Lug, Don.‘ wieder breitet sich ein Mantel der Trauer über Gwens Schultern aus und drückt sie nieder. Die große weiße Dogge mit den lustigen schwarzen Flecken hatte sie damals mitgenommen, bei ihrem überstürzten Aufbruch, doch leider hat er die Reise nicht überstanden. Er war schon alt, sie hätte ihm das nicht mehr zumuten dürfen. Seufzend und träge ob der belastenden Erinnerungen trottet Gwen ins Badezimmer. Groß und hell wie sie es in Erinnerung hatte, sehr sauber, die Armaturen glänzend und sogar eine Schale mit frischen Blütenblättern stand bereit. „Marga, liebe Marga. Wie hab ich Dich vermisst.“ Gequält lächelnd, hin und hergerissen zwischen traurigen Erinnerungen und Wiedersehensfreude lässt Gwen sich ein Bad ein.
April 2013